Gemeinde Spinnerei Bebié |
Spinnereien
begründeten das Dorf Turgi
1780er Jahren stand die damalige
Eidgenossenschaft unter allen Baumwolle verarbeitenden Ländern an
erster Stelle. Allein, nachdem 1767 in England die Spinnmaschine
erfunden worden war, wurde die schweizerische Handspinnerei in kurzer
Zeit nahezu vernichtet. Während der Kriegsjahre erlitt das Gewerbe
einen empfindlichen Stillstand; nach dem Sturze Napoleons aber
erneuerte es sich rasch in der neuen Form der Fabrikindustrie. Trotz
des englischen Ausfuhrverbotes war es 1799 gelungen, in St.Gallen die
ersten Spinnmaschinen aufzustellen. In wenigen Jahren schossen an
allen grösseren Flussläufen die hohen, vielfenstrigen Fabriken
empor, sodass man schon 1827 in der Schweiz rund 40’000 Spindeln zählte,
wovon die Hälfte im Kanton Zürich. In Wendhäuslen bei Bubikon machte 1804 Heinrich Bebie in seiner Mühle die ersten Versuche mit Spinnmaschinen, die er selber herstellte. Sein ältester 1788 geborener Sohn Heinrich ging nach England, um sich die neuen Maschinen - selbst anzusehen und darauf mit dem Vater und den Brüdern 1816/17 in Oberengstringen eine eigene Spinnerei zu errichten. Nachdem sie dort Erfolg hatten, bewog sie die günstige Lage der Halbinsel im Turgi sowie die Wohlfeilheit des Landes, dort ein neues Unternehmen ins Leben zu rufen. Die Bebies leiten ihr Herkommen ab von jenen
ehemals adeligen Angehörigen des Geschlechtes der Pebia, die 1555
zusammen mit den Muralt und um des Glaubens willen aus Locarno
vertrieben wurden, in Zürich Aufnahme fanden und dort in Handel und
Industrie grossen Aufschwung brachten. 1592 erhielten die Pebia das Bürgerrecht
der Stadt Zürich, ohne jedoch regimentsfähig zu werden. Nach ihrem
..Stammbaum haben sie mit dem schon 1387 im Zürcher Oberland erwähnten
Geschlechte gleichen Namens nichts gemein. Der Bau eines Kanals, der in Turgi zuerst in
Angriff genommen wurde, bot keine besonderen Schwierigkeiten.
Gleichzeitig wurde ein Werkhaus errichtet. Die Arbeiten wurden
vorwiegend von den Bürgern von Gebenstorf und aus dem Siggenthal
ausgeführt. Die Aufsicht führten hauptsächlich die Brüder Heinrich
und Kaspar Bebie, die sich auch als erste in Turgi niederliessen. Zur
Unterbringung der Arbeiter mussten weitere Häuser errichtet werden,
schon 1828 wurde das Langhaus mit 20 Arbeiterwohnungen ausgeführt. Im
gleichen Jahre wurde die Arbeit in der Spinnerei aufgenommen, und
bereits 1836 erfolgte der Bau der zweiten Fabrik. Nicht nur der Oberaufseher Josef Stahl von
Villnachern kam aus Oberengstringen hierher gezogen, auch die ersten
Spinner kamen entweder aus dem Kanton Zürich, oder aus den oberen
Bezirken des Kantons Aargau, besonders Kulm und Lenzburg. Einzelne
Gemeinden schlossen sogar Verträge mit den Fabrikanten in Turgi ab,
wonach sie ihnen arme, aber arbeitsfähige Leute schickten, die von
den Fabrikherren verköstigt wurden, deren Lohn aber zur Unterstützung
der Angehörigen an die Heimatgemeinde ausbezahlt wurde. Dann kamen
allmählich Arbeiter aus Wil, aus Vogelsang, Siggingen und Würenlingen
dazu. Die Bewohner von Gebenstorf bevorzugten aber die um die gleiche
Zeit von Oberst Heinrich Kunz errichtete Spinnerei in Windisch. Die Arbeitsverhältnisse können natürlich
in keiner Weise mit den heutigen verglichen werden. Anfänglich betrug
die Arbeitszeit 14 -15 Stunden, mit einer halbstündigen Mittagspause.
Zum Ansetzen und Aufstecken der Spindeln wurden in wachsender Zahl
auch Kinder eingestellt. Der Verdienst, der für einen Spinner bis auf
20 Batzen täglich stieg, übte auf die mittellosen Bewohner eine
starke Anziehungskraft aus. Die Klagen der Arbeiter bezogen sich
hauptsächlich auf die eigenartige Fabrikuhr, welche die Fabrikherren
einführten. Sie legten einerseits Wert darauf, dass die Arbeit während
des ganzen Jahres um die sechste Morgenstunde beginne, anderseits aber
suchten sie wenn immer möglich das Anzünden der Lampen am Morgen zu
vermeiden. Diese Widersprüche waren nur so auszugleichen, dass man
die Uhr vorstellte. Solange die Tage länger wurden, stellte man von
Woche zu Woche die Uhr um ein paar Minuten vor, und wenn die Tage sich
verkürzten, wurden ebenso die Zeiger zurückgestellt. Während also
die Uhr bei Fabrikbeginn immer 6 Uhr und bei Fabrikschluss abends 9
Uhr zeigte, dauerte die Arbeit, mit einer halbstündigen Mittagspause,
im Juli tatsächlich von 4.30 Uhr morgens bis 19.30 Uhr abends, im
Januar dagegen von 7 Uhr bis 22.30 Uhr. Diese Einrichtung verursachte
bei den Arbeitern, die gezwungen waren, ihre Uhren - sofern sie überhaupt
eine hatten - ebenfalls allwöchentlich anders zu richten, viel
Verwirrung und Unwillen. Es ist nicht zu verwundern, dass die
zugezogenen Arbeiterfamilien in dem Bauerndorfe das jahrhundertelang
nur von seiner kargen Scholle lebte, als Fremdkörper empfunden
wurden. Diese Leute brachten auch einen neuen Geist mit. Die eintönige,
lange Arbeit in den engen Fabrikräumen brachte es mit sich, dass sie
in den wenigen Stunden der Freizeit sich umso massloser ausleben
wollten. Pfarrer Meyer vermisste bei ihnen die Empfänglichkeit für
ein gemütvolles Familienleben und edlere Lebensgenüsse. «Trunk,
Kartenspiel und gemeine Geschlechtslust galt nicht wenigen als die
angenehmste und wünschenswerteste Sonntagserholung, und in der möglichen
Emanzipation von heilsamen kirchlichen und moralischen Schranken
meinten sie das richtige Gleichgewicht gegen die Opfer zu finden,
welche ihr Freiheitsgefühl und ihr natürlicher Stolz dem Broterwerbe
und dem Druck der Armut darbringen musste.» Auch ärmere Familien konnten sich jetzt
besser nähren und kleiden. Der Pfarrherr eiferte gegen die
Kleiderhoffart und die Geldverschwendung in den Wirtschaften, die
Lockerung der Sitten. «Die alten, zwar eher beschränkten, aber doch
patriarchalisch glücklichen Verhältnisse hörten auf, eine neue
Lebensweise begann.» Auch die eingesessene Bevölkerung wurde davon
ergriffen. Es war nicht zu ver- kennen: «Mit dem Bau der Fabriken in
Turgi und in Windisch beginnt für die Gemeinde Gebenstorf eine ganz
neue Ära.» Dieses neue Wesen brauchte viel Zeit, um
gesunde Lebensformen anzunehmen und den Beweis zu erbringen, dass es
die Schattenseiten, die zunächst ins Auge sprangen, durch ebenso
viele Lichtseiten aufwog. Über das Ende der Spinnereien in Turgi sei
nur kurz berichtet, dass am 10. Februar 1962 die Brown Boveri Baden
die AG vormals E. Kappeler- Bebie käuflich Übernahm, und am 1.
Dezember 1962 verkaufte die Bebie AG ihr gesamtes Aktien- kapital
ebenfalls an die BBC in Baden. So gelangten die ältesten Industrie-
unternehmen des Dorfes, die entscheidend zur Gründung der Gemeinde
Turgi beigetragen hatten, in fremde Hände. Schade war nur, dass die
Gemeinde Turgi bei diesen Verkäufen nicht einen Quadratmeter Land
erwerben konnte, den sie für kommunale Aufgaben so dringend notwendig
gehabt hätte! Autor: Adolf Haller Nachbearbeitung:
Arthur Luthiger -KULTURGI
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