Gemeinde   Antoniuskirchlein

Das Antoniuskirchlein in Wil bei Turgi

Wer kennt nicht die kleine Kapelle an der Hauptstrasse Baden - Brugg in Unterwil bei Turgi, ganz in den Häusern versteckt, so klein und herzig, dass man sie fast mit sich davontragen möchte -

Das Gebenstorfer .Jahrzeitenbuch berichtet

Die Kapelle in Unterwil hat ihre Geschichte. Schon für das Ende des 15. Jahrhunderts ist sie bezeugt. Von diesem "gemuret helgen huslin" erzählt uns zur Genüge das alte Jahrzeitbuch der Pfarrei Gebenstorf (S.75): "Item für das obgemelt fiertel Iroggen hett geordnet Kleinhans am ze gend järlich ein fiertel kernen, uf sölicher ursach, dass die kilch ze Gebistorf in guottem buw und eren ewengklichen haltten das gemuret helgen huslin hienidertt halb Niderwil, und hett im das zuo gseit ein gantzi gemein von wegen der kilchen (Für den obgenannten Viertel Roggen stiftete Kleinhans am einen jährlichen Zins von einem Viertel Kernen, damit die Kirchgemeinde Gebenstorf das gemauerte heilige Häuschen unterhalb Unterwil ewiglich in gutem Bau und in Ehren erhalte, und hat ihm das zugesagt eine ganze Kirchgemeinde).

Die Niederschrift obgenannten Eintrages ins GebenstorferTotenbuch muss ins letzte oder vorletzte Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts gesetzt werden. Wie ersichtlich, hatte sich damals die ganze Kirchgemeinde Gebenstorf mit dieser Kapelle und deren Instandhaltung befasst und sich einverstanden erklärt, einen Jahreszins von einem Viertel Kernen nach Vorschlag von Kleinhans am für den Unterhalt der Kapelle zu verwenden. Laut vorausgehender Jahrzeit hatten Johann Leder und seine Gattin Margareth sowie Wernher Wechter und dessen Gattin Verena für ihre und ihrer Eltern Seelenruhe zu einer Jahrzeit gesetzt "ein gemein viertel roggen der kilchen", und zwar "ab eim mättlin gelegen uff Spannagels Berg, hiesz dz Metli ze Hinder Lappen". Kleinhans am hatte nun diesen Viertel Roggen zu einem Viertel Kernen umgewan- delt und daran die Bitte geknüpft, den Ertrag für die Kapelle zu Unterwil zu verwenden. Die Jahrzeit vom Montag nach dem Dreikönigsfest 1507 gibt Auskunft über die Familie des Kleinhans Om. Seine Eltern hiessen Heini Om und Verena Spannaglin, während seine Gattin Anna Meyer war, die Tochter des Heini Meyer und der Katherin Anglikerin.

Zwei Antoniuskapellen

Die erste Erwähnung des "gemuret helgen huslin" vom letzten oder vorletzten Jahr- zehnt des 15. Jahrhunderts setzt die Existenz des Kapellchens schon voraus. Des- halb drängt sich einem die Frage auf, wann es überhaupt erbaut worden ist. Es gab im Mittelalter zwei Wellen von Antonjusverehrung: die erste gleich nach seiner Heiligsprechung im Jahre 1232 und noch mehr nach der feierlichen Erhebung seines Leibes im Jahre 1263; die zweite, als 1424 die heutige St. Antoniusbasi!ika in Padua eingeweiht und damit so recht der Grund für die Pilgerfahrten gelegt wurde. Wir möchten deshalb die Erbauungszeit der ersten Antoniuskapelle in Unterwil bei Turgi spätestens gleich nach der Einweihung der gewaltigen Basilika in Padua im Jahre 1424 ansetzen.

Deshalb konnte Arnold Nüscheler in seinen "Gotteshäusern" schreiben: "Das Gotteshaus stand schon im Jahre 1400 in der Ecke der beiden Strassen nach Baden und Vogelsang und wurde 1605 erneuert, 1718 aber laut Inschrift über der Tür (die heute nicht mehr vorhanden ist) auf der gegenwärtigen Stelle im Dorf eine Kapelle errichtet. Am früheren Orte erblickte man noch 1780 ein hölzernes Kreuz. " Nüscheler beruft sich bei seinem Bericht auf Pfarrer Stamm von Birmenstorf. Vermutlich aber hatte dieser für die Ersterwähnung von 1400 keine literarische Unterlage gehabt, so dass wir kurz die beiden Jahrzehnte vor dem alten Zürichkrieg als Bauzeit annehmen dürfen. Wenn Nüscheler des weitern berichtet, dass nach dem Jahrzeitbuch von Gebenstorf zum 30. Oktober Heinrich Haso den Viertel Roggen für die Antoniuskapelle gestiftet hat, so dürfte dies kaum der Wahrheit entsprechen, da der Viertel Kernen bzw. Roggen für die Kapelle mit der Jahrzeit von Johann Leder und seiner Gattin Margareth zusammenhängt.

Ökumene

In einem unmittelbar folgenden Eintrag im Gebenstorfer Jahrzeitbuch (S. 75) lesen wir über die Kapelle: "Dieses obgenambte viertel kernen sollen beyde catholische und evangelische Kirchen Gebenstorff der Capelien zu St. Antony in Underweyl jähr- lich entrichten; vide fol. 226 des Neüwen Urbary adfinem, 1719, am 11. März. " Der Viertel Kernen, der im ausgehenden 15. Jahrhundert von der Kirchgemeinde , Gebenstorf zu Gunsten der Antoniuskapelle zu Unterwil beschlossen war, wurde auch nach der Reformation alljährlich dafür verwendet. Die Protestanten liessen es sich nicht nehmen, ihren Anteil weiter dem Kirchlein zu verabfolgen. Der Entscheid vom 11. März 1719 billigte auch weiterhin das alte mitbrüderliche Verhalten.

Jahrzeitstiftungen

Das Jahrzeitbuch berichtet des weitern, dass in die neue Kapelle von 1718 auch Jahrzeiten gestiftet wurden, so jene für Meister Johann Killer, Weber, Unterwil, seine CT Eltern Joggli Killer, gewester Kirchmeier, und Kleinanna Oertlin, seine Brüder Hans Joggli und Joggli Killer, sowie seine Frau Maria Zehnder, ferner Kuonrad Killer. Der Stifter hatte 16 Gulden vergabt, "ab einer halben jucharten Acker in Weichlen, stost vor an Ulli Killer, nebst an Hans Killer, Kirchmeier, hinden an Kleinhans Vogelsang, Schiffmacher" .Von den 40 Schilling Jahreszins "sollte einem Priester geben werden 30 Schilling, dass er auff St.Jo.Baptisten Tag in der CapelIen St. Antony de Padua " zue Underweyll celebrieren und Mäss lesen, ad eus intentionem (nach seiner Absicht); die übrigen 10 Schilling sollen an die Kertzen verwendt und gebraucht werden. Actum , in Birmistorff, den 3. Brachmonnet 1719".

Noch andere Pfarrgläubigen stifteten Jahrzeiten in das Antoniuskirchlein, so am 18. Januar 1814 Jakob Küng von Unterwil; ferner am 26. August 1827 Heinrich Killer, Heichel oder Lütharten genannt, mit 25 Zürichgulden; am 22. November 1827 Franz Killer Neubauer von Unterwil mit 20 Zürichgulden; endlich Johann Killer, Lochbauer in Unterwil, mit 32 Schweizerfranken, sowie Notburga Killer, die Ehefrau des vorhin genannten Johann Killer, am 23. Dezember 1832.

Patroziniumswechsel

Der Patron der Kapelle war der hl. Antonius. Bekanntlich aber gab es zwei Heilige dieses Namens. Antonius von Padua, aus dem Beginn des 13. Jahrhunderts und Antonius der Einsiedler, der im 4. Jahrhundert in Oberägypten gelebt und nach dem sich im Mittelalter und bis heute ein Mönchsorden benannt hat. Das Kirchlein war nun zunächst dem hI. Antonjus von Padua geweiht. Wiewohl die. Bauern diesen Heiligen liebten und seinen Namenstag am 13. Juni mit Elfer zu feiern suchten, so lag ihnen dieser Sommertag mit seinen oft drängenden Arbeiten doch nicht recht. Begreiflich, wenn sie deshalb zum Pfarrer kamen und ihm die Bitte vorbrachten, lieber den andern Antonius, den hl. Antonius den Einsiedler, zu feiern und dessen Feiertag, den 17. Januar, festlich zu begehen.

Wiederum gibt uns darüber das alte Jahrzeitbuch (S.4) Auskunft. "Man muss wissen, dass die in Unterwil errichtete Kapelle zuerst dem hl. Antonjus von Padua geweiht war. Doch gelobten die Bewohner dieses Ortes einhellig und freiwillig vor dem Pfarrer, dass sie lieber den 17. Januar als Festtag des hl. Antonius des Eremiten feiern und den Tag mit einer heiligen Messe, die der Pfarrer von Birmenstorf halten solle, festlich begehen möchten, da sie den Tag des hl. Antonius von Padua, den 13. Juni, wegen den jeweils anfallenden notwendigen Arbeiten nur mit Mühe zu feiern ver- mögen. Deshalb müsse die auf diesen Tag fallende Jahrzeit des Konrad Hina auf einen dem Pfarrer günstig gelegenen Tag verschoben werden. Als Stipendium der heiligen Messe sollten dem Pfarrer 10 Batzen zugesprochen werden." - Der Wechsel des Kapellenpatroziniums dürfte um 1700 vorgenommen worden sein.

Der Flügelaltar

Das Antoniuskapellchen besass einen herrlichen Flügelaltar, der sich heute im Landvogteischloss zu Baden befindet und der in jedem Besucher freudiges Staunen weckt. Schade, dass der schöne Altar nicht mehr im trauten Kirchlein steht.

Das Mittelstück stellt uns Maria dar, die dem hl. Antonius von Padua das Gotteskind überreicht hat, während lichte Engelsgruppen die Heiligengestalten umgeben. Wie die Beschriftung besagt, hat es J.C. Lehe, der Pfarrer von Birmenstorf , 1729 gestiftet. Bekanntlich wohnte nach der Reformation der katholische Pfarrherr in Birmenstorf und betreute von dort aus die Katholiken der Pfarrei Gebenstorf, währe. .& der protestantische Pfarrherr in Gebenstorf wohnte und von dort aus die Protestanten in der Pfarrei Birmenstorf betreute. Als 1718 die neue Kapelle erbaut wurde, Über- trug man den alten Flügelaltar aus der alten Kapelle in die neue. Der herrliche Altar reichte in die Zeit von 1564- 1582 zurück. Er wird dem Maler Urs von Aegeri zugeschrieben. Dieser Badener Künstler hat auch einen Flügelaltar im Kloster GnadenthaI gemacht, ebenso schaffte er an den Silberysen Chroniken. Neben dem hl. Antonius des Eremiten erblickt man die Heiligen Beatus, Rochus, Sebastian sowie die Frauen Margaretha, Agatha, Barbara, und Katherina. Wie ersichtlich, spiegelt sich der Patroziniumswechsel auch in den Bildern wider.

Zum Schluss So reicht das kleine Antoniuskirchlein in Unterwil bei Turgi, ähnlich wie das alte Antoniuskirchlein in Niederrohrdorf, bis in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts zurück und bildete während den vergangenen Jahrhunderten gleichsam die geistige Mitte des Dörfchens. Es erlebte die unselige Glaubensspaltung und band doch wieder die konfessionell getrennten Glaubensbrüder ins Gespräch. Wahrlich, das kleine Antoniuskirchlein ist noch heute ein kostbarer Edelstein!

Autor: Pfarrer Dr. A. Egloff, Gipf-Oberfrick

Nachbearbeitung: A. Luthiger - KULTURGI